Alte Synagoge (Dortmund)

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Die Alte Synagoge Dortmund galt als eindrucksvolles und das Stadtbild prägendes Gebäude. Sie stand am Hiltropwall, dem heutigen Ort des Theaters Dortmund. Die Einweihung der Dortmunder Synagoge fand am 8. Juni 1900 statt. Der Oberbürgermeister sprach stolz von einer "Zierde für die Stadt" und wünschte sie sich für "Jahrhunderte erbaut", jedoch kam es ab dem 3. Oktober 1938 zum Abriss des Gotteshauses durch die NSDAP.¹

Synagoge Dortmund (Rekonstruktion) - Fachgebiet Digitales Gestalten, TU Darmstadt


Geschichte

Am 8. Juni 1900 wurde die neue Synagoge der jüdischen Gemeinde Dortmund am Hiltropwall eingeweiht. Die Tagespresse verfolgte das Ereignis und erwähnte die prächtige Orgel, die zur Ausstattung der Synagoge gehörte. Eine Orgel war in Synagogen eine Seltenheit, da sie eher zur Grundausstattung der christlichen Kirche gehörte. Hieraus kann bereits geschlossen werden, dass die jüdische Gemeinde in Dortmund liberal war. Die Synagoge war offen für die Allgemeinheit, denn jahrelang fand dort eine Konzertreihe statt, von der in der Tagespresse ausführlich berichtet wurde. Als aber 1938 die NSDAP-Kreisleitung ein Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft des jüdischen Gotteshauses als ihren Sitz gewählt hatte, geriet die Synagoge verstärkt ins Visier der Nationalsozialisten, bis schließlich ihr Verkauf am 19. September 1938 erzwungen wurde. Die Stadt Dortmund veranstaltete daraufhin zwei Tage später, am 21. September, eine Feierstunde, zu der NSDAP-Kreisleiter Hesseldieck eine Ansprache hielt und den Abriss der Synagoge als historisches Ereignis bezeichnete. Mitglieder des Jungvolks und der Hitler-Jugend stürmten die Synagoge und richteten im Innern Schäden an, wobei die Orgel unbeschädigt blieb. Sie konnte noch rechtzeitig an die Gertrudis-Kirche verkauft und dort aufgestellt werden, doch während des Bombenhagels des Zweiten Weltkrieges wurde auch sie zerstört. ²

Bau der Synagoge

Synagoge Dortmund (Rekonstruktion) - Fachgebiet Digitales Gestalten, TU Darmstadt

Es handelte sich um einen aus einem Oktogon entwickelten Zentralbau. Die Gesamthöhe des Gebäudes betrug 40 Meter. Eine weite Tambourkuppel überwölbte den Innenraum. Die Dortmunder Gemeinde entschied sich für den neogotischen Stil und orientierte sich damit vor allem an der 1895 gegenüber am Hiltropwall errichteten Oberpostdirektion, die den besonderen Zuspruch Kaiser Wilhelms II. gefunden hatte. Dennoch griff der Architekt Eduard Fürstenau zugleich Formen der Renaissance auf, insbesondere bei der Proportionierung der Türme und Giebel. Mit 1300 Plätzen war die Alte Synagoge eines der größten jüdischen Bethäuser in Deutschland.³

Vom Bau zur Einweihung

Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinschaft in Dortmund stieg im Zuge der Industrialisierung, da viele Juden aus den ländlichen Gemeinden in die Handels- und Industriezentren ins Ruhrgebiet zogen. Innerhalb von 70 Jahren wuchs die Anzahl der in Dortmund lebenden Juden von 600 im Jahre 1870 auf rund 2.000 im Jahre 1900 an; Hörde, Dorstfeld und Aplerbeck sind bei diesen Angaben nicht eingeschlossen, weil diese eigenständige Gemeinschaften waren. Da also die bisherige Dortmunder Betstätte zu klein geworden war, begann die Planung einer neuen Synagoge. Nachdem die Gemeinde zwischen 1892 und 1895 ein Grundstück am Hiltropwall gekauft hatte, schrieb sie im März 1895 einen Architektenwettbewerb aus. Mit einstimmigem Ergebnis wurde Eduard Fürstenau, ein in Berlin-Charlottenburg tätiger Architekt, mit der Bauplanung beauftragt. Was Lage und Grundriss betraf, entsprach der Bau jedoch nicht dem ursprünglichen Entwurf. Die technischen Mitglieder des Preisgerichts empfahlen der Gemeinde aufgrund eines geringeren Preises und wegen der faszinierenden Aussicht von der Wißstr. aus, die Synagoge nicht - wie üblich - nach Osten auszurichten. Da keine rituelle Vorschrift eine östliche Ausrichtung forderte, wurde das Gebäude schließlich rechtwinklig zum Hiltropwall errichtet.


Anders als viele andere Synagogen war sie nicht im romanischen, sondern im neogotischen Stil erbaut worden und passte sich so explizit dem Dortmunder Stadtbild und dem zeitgenössischen Geschmack im Kaiserreich an.

Die genaue Bezeichnung des Bauwerks lautete: "Massiv-Werkstein-Bau als Zentralbau über quadratischem Grundriß aufgeführt unter Verwendung frei behandelter Formen des ausgehenden 16. Jh."


General Anzeiger Nr. 154 vom 8. Juni 1900 - zugänglich gemacht durch das Zeitungsportal NRW unter https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/11012496





Der "General Anzeiger" berichtete am 8. Juni 1900 unter anderem Folgendes: 


"Die neue Synagoge am Hiltropwall, deren prächtiger Kuppelbau eine stolze 
Zierde Dortmunds bildet, erhält heute ihre Weihe. Zwei volle Jahre waren erforderlich, 
um das schöne Werk zu vollenden.[…]
1. Errichtet unter der Regierung Wilhelms II. in den Jahren 1897 bis 1900 durch den 
Architekten Ed. Fürstenau, Königl. Bauinspector zu Halle a.d. Saale. 
Zu Ehren Gottes errichtet unter dem Vorstande: […]
Heute nun wird der stolze Bau feierlich geweiht. […]"

Der Abriss

Als unübersehbare Drohmaßnahmen mit Signalwirkung gegen die Juden im ganzen Deutschen Reich waren im Juni 1938 in München, Kaiserslautern und Nürnberg bereits die ersten großstädtischen Synagogen abgerissen worden. Parallel zu den Aktivitäten der Partei in Dortmund hatte auch die Stadtverwaltung seit 1938 die Enteignung des Synagogengeländes und seit Mitte September dann gar den Abriss der Synagoge aus ,,städtebaulichen Gründen" betrieben. Anfang September 1938 war es zwischen dem NS-Kreisleiter, Vertretern der Stadt Dortmund und der Planungsbehörde des Ruhrsiedlungsverbandes in Essen zu einer Besprechung über den Abriss der Dortmunder Synagoge aus verkehrs- und wehrpolitischen sowie parteiideologischen Gründen gekommen; hierin hatte der Kreisleiter zynisch betont, dass die Dortmunder Synagoge für die an Mitgliedern seit 1933 stark reduzierte jüdische Gemeinde kaum noch notwendig sei. Zudem gäbe es noch eine zweite große Synagoge in Hörde, so dass durch eine Konzentration der jüdischen Bevölkerung auf Hörde in der Nähe der Gestapostelle auch deren Überwachung einfacher sei. Noch bei der Rückkehr auf dem Dortmunder Bahnhof am 13. September kündigte der Kreisleiter die Beseitigung des ,"Judentempels" an; die Nazipresse ,"Westfälische Landeszeitung Rote Erde" bereitete die Dortmunder Bevölkerung mit entsprechender Berichterstattung darauf propagandistisch vor.


Dr. Louis Koppel, Vorsitzender des Repräsentantenkollegiums der jüdischen Gemeinde Dortmund und Jurist, berichtet als Augenzeuge:

Die ,"Zeitungen der Nazi-Partei" hätten verlangt, dass "der Schandfleck" verschwinde. Er und Leo Jonas, Vorsitzender des Vorstandes der jüdischen Gemeinde, hätten mit dem Bürgermeister, dem Stadtbaurat und dem Kreisleiter Hesseldieck ein Gespräch über die Synagoge geführt. Die Vertreter der Stadt und der NSDAP hätten erklärt, der Abriss der Synagoge sei beschlossene Sache, der Platz werde für einen Luftschutzkeller und einen Parkplatz benötigt. Dr. Pagenkopf und Herr Hesseldieck hätten die Vertreter der jüdischen Gemeinde dann weiter unter Druck gesetzt, indem sie beteuert hätten, dass alles durch eine Zustimmung und den Wechsel zur Hörder Synagoge friedlich verlaufen könne. Ihnen sei egal gewesen, dass die Gemeinde in Hörde eine eigenständige gewesen sei und der Wechsel nicht ohne Weiteres habe erfolgen können. Ein faires Enteignungsverfahren für die Synagoge, welches eigentlich immer bei öffentlicher Nutzung von Privateigentum erfolgen müsste, sei für den Bürgermeister nicht infrage gekommen. Für die wichtige Besprechung mit der gesamten Gemeinde habe Herr Pagenkopf ihnen nur bis zum nächsten Morgen Zeit gegeben. Die Drohungen hätten die Vertreter der jüdischen Gemeinde erschüttert, sie seien aber zur Erkenntnis gekommen, dass sie sich nicht hätten wehren können und dem Abriss hätten zustimmen müssen. Er (Dr. Koppel) habe am Schluss dieser Versammlung einen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Dortmund verfasst und zum Ausdruck gebracht, dass die jüdische Gemeinde den Entschluss unter dem Eindruck der ihnen gemachten Drohungen gefasst habe. Am folgenden Tage sei in der Zeitung ,"Rote Erde" über die Beschlussfassung der jüdischen Gemeinde berichtet worden, ohne Darlegung der Hintergründe. So sei der jüdischen Gemeinde für die Wegschaffung der belassenen Kulturgegenstände sowie der gesamten lnneneinrichtung eine Frist von 1 Tag gesetzt worden. Mangels Unterbringungsmöglichkeiten - keine Lagerhausgesellschaft hätte mehr die Gegenstände der Gemeinde aufgenommen - seien die Kultgeräte und die gesamten Einrichtungen in einem Pferdestall eines jüdischen Eigentümers in Dorstfeld untergebracht worden. Was aus ihnen geworden sei, wisse er nicht.

Weitergehende Informationen und neu aufgenommene Tonaufnahmen aus den Erinnerungen zweier genannter Betroffener finden sich in einem Online-Artikel der Ruhr-Nachrichten von 2022.

Weitere Überreste (Postkarten)

Die gezeigten Postkarten sind alle echte Überreste, die durch Ebay erworben werden konnten.

Weiterführende Literatur, Internetseiten und Belege

Einzelnachweise

[1] https://www.nordstadtblogger.de/serie-nordstadt-geschichten-die-orgel-der-synagoge-in-dortmund-und-die-gertrudis-kirche-in-der-nordstadt/

[2] https://juedisches-dortmund.de/neue-synagoge/#:~:text=Als%20die%20J%C3%BCdische%20Gemeinde%20Dortmund,l%C3%A4ngst%20zu%20klein%20geworden%20war

https://www.nordstadtblogger.de/serie-nordstadt-geschichten-die-orgel-der-synagoge-in-dortmund-und-die-gertrudis-kirche-in-der-nordstadt/
übereinstimmende Angaben zu den Ereignissen auf beiden Internetseiten zu finden

[3] https://www.lwl.org/fremde-impulse-download/start/LWL/Kultur/fremde-impulse/die_baudenkmale/Impuls-Juedisches-Leben/Synagogenplatz-Dortmund.html Infos zum Bau

https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/input_felder/langDatensatz_ebene4.php?urlID=608&url_tabelle=tab_websegmente
Unter "Neue Synagogen in Westfalen" findet man die Info zur Größe der Synagoge

[4] Kohlpott, 2/2000, S. 12 - 27

[5] https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/input_felder/langDatensatz_ebene4.php?urlID=608&url_tabelle=tab_websegmente

[6] https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/11012496

General Anzeiger vom 08.06.1900

[7] Bausch, 2/2000, S. 28 - 33

[8] https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/reisst-ab-den-judentempel-das-schicksal-der-dortmunder-synagoge-nsdap-chef-vor-gericht-w1341012-p-2000473956/

Artikel vom 09.11.2022, leider nur für Abonnenten einsehbar

Historische Quellen

General Anzeiger, Redakteur: Karl Richter, Nr. 154, 13. Jahrgang, Dortmund, den 08. Juni 1900: archiviert von der Universitäts- und Landesbibliothek Münster unter zeitpunkt.nrw

Postkarten

Gedruckte Informationen

Thomas Kohlpott, 8./9. Juni 1900 - Einweihung der Synagoge am Hiltropwall, in: HEIMAT Dortmund Ausgabe 2/2000, S. 12 - 27

Hermann Josef Bausch, 8./9. Juni 1900 - Einweihung der Synagoge am Hiltropwall, in: HEIMAT Dortmund Ausgabe 2/2000, S. 28 - 33

Internetseiten

Klaus Winter, SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Die Orgel der Synagoge in Dortmund und ihr "Umzug" in die kath. Gertrudis-Kirche, in: In Geschichte, Kirche & Glauben, Musik, Nordstadt-Geschichte, Religion, 27. August 2017, https://www.nordstadtblogger.de

Jüdisches Dortmund, Neue Synagoge: Das religiöse und kulturelle Zentrum der Jüdischen Gemeinde Dortmunds, https://juedisches-dortmund.de

LWL, Fremde Impulse: Baudenkmale im Ruhrgebiet, https://www.lwl.org

Katinka Netzer, 02. September 1956 - Einweihung der Dortmunder Synagoge, in: Internet-Portal "Westfälische Geschichte", https://www.lwl.org