Fiktionaler Blick auf Jüdinnen in der Nachkriegszeit

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Die unterschiedlichen Farben bei den Bildern und Texten stehen für die historischen und fiktiven Quellen.
Ein gelb hinterlegter Hintergrund steht für eine fiktive oder nachgeschöpfte Quelle.
Ein weiß hinterlegter Hintergrund steht für eine historische Quelle.
Juden Dortmunds in Not, "Aufbau", S. 159 vom 1. März 1946.
Screenshot aus dem Dokumentarfilm der Dortmunder Filmemacherin Elisabeth Wilms "Alltag nach dem Krieg" (1948)
Unser Bildtitel "Kohle fringsen" bezieht sich auf eine in der Nachkriegszeit übliche Bezeichnung für den Vorgang des Organsierens von Lebensnotwendigem (Essen, Brennmaterial).
KI-Bild: Carepakete für Dortmunder Juden und Jüdinnen, mit adobe firefly erstellt.


Liebesgaben

Liebste Elsa,

an diesem Tag gibt’s wieder was, von Herzen raus, für Euch gemacht.

Doch schmertzt’s mich wohl zu wissen glatt – es reicht nie aus –

Wer wird noch satt?


Die Tage rasend schnell vergehen, doch die Schmerzen tief. Sie lähmen;

Hörte Die wollen noch immer nicht, kein Platz für Uns – kein Blick – nicht an Deren Tisch?

Bedient haben Die sich zuvor an Unserem! Aus vollen Händen! Wer soll's vergelten?

Ist’s Scham?

Ist’s Schmach?

Ich glaub’s ja nicht. Nichts von gewusst?


Unsinn. Uns auf die Haut gestickt!

Wiedergutmachung?

Seht, was ward,

Nun verweigert Ihr die Pflicht,

die Angst¹ wohl Eure Einsicht frisst?


Legen sollt’n Die sich neben die, die Sie angespuckt,

die Wut zu groß, verzeih.

Es klagt das Volk an Jahwe nicht,² es sei der Mensch, was trägt er in sich.

Doch tankt die alte Zuversicht³! Noch am Leben! Im Licht des Herrn:

Familie!

Wir sind geeint, gestärkt, in Tränen.


Was Ihr zum Leben braucht, das schreit Uns zu.

Wir geben, was Wir können, Wir hören Euch zu!

Wo Opfer niemals untergehen.

Aus Zeit wird Geist, doch Mensch bleibt nur, wer Liebe lebt.

Schalom


Trümmertach


P1: "Aufbruch, los treib zusammen was jetzt noch bleibt. Die Not ruht auch nicht, immer wieder jeden Tag dasselbe Leid."


P2: "Laut klag’n hilft uns au’ nix, mehr san’ halt nimmer da. Be’il mich, versprech’s,– Glump; a Pfiff …"


P3:"Zieht Leine! Verschwindet! Haut ab, von unseren Resten!"


P1: "Wir waren fast weg; Versprochen – Gibt’s das, Serafim … - zwei Westen?!"


P2: "Schlemihl, Sag’ net sowas, so laud."


P4:"Hömma! Steh’n bleib’n! Was hab’n wa’n da? Auch das Fräulein. Ohne was zu Tauschen?"


P2: "Was nu’?"


P1: "Sei still. Wir hatten’s fast. So ein saublöd’s Pack!"


© Aaron V. Rüb

Einordnung

Bei diesem Gedicht handelt es sich um einen Beitrag aus dem Literaturkurs "Schreiben" (Wintersemester 2023/24), der aufgreift, wie sich das Leben im Nachkriegsdeutschland, insbesondere im schwerst zerbombten Dortmund, für die wenigen überlebenden Juden und Jüdinnen gestaltete.
In einer Zeit, in der es an lebensnotwendigsten Dingen mangelte, angefangen vom trockenen Wohnraum über das Essen zum Heizmaterial, mussten sich auch deutsche Jüdinnen - die Frauen stehen hier bewusst im Fokus - den Härten des Alltags stellen und konnten dabei nicht mit dem Mitgefühl der anderen Deutschen rechnen. Lange Zeit sollte in Deutschland der alltägliche Überlebenskampf die Auseinandersetzung mit dem Krieg und der deutschen Verantwortung für die Shoa überdecken.

Erläuterungen

[1] Angst vor den Konsequenzen, auch den finanziellen, einer Wiedergutmachung; es geht zudem um die Einsicht in die schuldhafte Verstrickung der eigenen Familien.
[2] "Es klagt das Volk an Jahwe nicht": ungewöhnliche Satzstellung mit Inversion des Akkusativobjekts; steht für: "Das Volk klagt Jahwe nicht an."
[3] Zuversicht: Hier ist gemeint, dass das jüdische Volk sein Vertrauen darin wieder finden soll, auserwählt zu sein.

Grundlegende Informationen als Inspirationsquelle

Gesamter Jahrgeng 1946 der in New York erscheinenden jüdischen Exilzeitung "Aufbau"