Affidavit

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Allgemeine Informationen

Herkunft: aus dem Mittellateinischen zu affidare versichern, Treue oder Schutz versprechen ¹

Tabellarisches Affidavit, ausgestellt für Paul Dessau.
via Wiki Commons

Das Affidavit war eines von einer Vielzahl notwendiger Dokumente für die Beantragung eines Visums für die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich zu Zeiten des Nationalsozialismus. Es handelte sich um eine vereidigte Versicherung, in der die amerikanischen oder britischen Bürgen erklärten, dass sie die volle Verantwortung für die Einreisenden übernehmen.

Der jüdische Buchverlag Philo Verlag ², der vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gegründet wurde und die jüdische Emanzipation zum Ziel hatte, verlegte den Philo-Atlas, ein Handbuch, das sich mit der Auswanderung jüdischer Bürger*innen auseinandersetzte und Jüdinnen und Juden so ein wertvoller Ratgeber für ihre Flucht war. Er enthält zahlreiche Informationen und Begriffserklärungen, die nach den Ländern sortiert sind. Das Affidavit wird hier auch genannt und als Begriff erklärt.

Das Dokument hatte unterschiedliche Formen. Üblich waren eine tabellarische Darstellung, aber auch eine ausformulierte Variante, die die benötigten Informationen und die Bereitschaft der Bürgen, die Haftung für die Asylsuchenden zu übernehmen, beinhaltete.³

Es enthielt neben Name, Wohnort und Herkunft auch den Beziehungsstatus. Außerdem wurden Beruf und Anstellung aufgeführt und die Finanz- bzw. Kaufkraft der bürgenden Person, aber auch das Verhältnis zur begünstigten Person musste dargelegt werden. Durch die Eintragungen auf dem Affidavit belegte der Aussteller, dass er in der Lage war, die Verfolgten finanziell zu unterstützen und so zu gewährleisten, dass sie dem Staat keine zusätzlichen Kosten verursachten.


















Der Visumsprozess

Fotografie aus dem Jahr 1941.
Warteschlange vor dem Konsulat in Marseille.
Vor den deutschen Behörden herrschten ähnliche Zustände.
via United States Holocaust Memorial Museum.

Der gesamte Visumsprozess war sehr kosten- und zeitintensiv sowie äußerst umfangreich, das Affidavit stellt lediglich eines der Dokumente dar, die für die legale Einreise in die USA oder Großbritannien benötigt wurden. Den genauen Prozess kann man im nachstehenden Diagramm nachvollziehen; schnell wird man feststellen, dass eine Vereinfachung des Prozesses dazu beigetragen hätte, mehr Menschenleben zu retten.

Bereits 1930 intensivierten sich die Feindseligkeiten gegenüber jüdischen Mitbürger*innen und für die Anträge auf ein Visum war der Eintrag auf eine Warteliste notwendig, diese war sehr lang, da immer mehr Menschen eine Flucht in Erwägung zogen. Problematisch war dies insofern, als das die USA nur 27370 Visaanträge pro Jahr akzeptierte, was bei weitem nicht den eigentlichen Bedarf abdeckte. Erschwerend hinzu kam noch behördliche Unfähigkeit, so dass die Quoten in einigen Jahren nicht einmal ansatzweise erreicht wurden.

Durch die Vielzahl der erforderlichen Dokumente sowie die begrenzte Gültigkeit der Unterlagen wurde der ohnehin schon sehr aufwändige Prozess zusätzlich verkompliziert. Das wissentliche Erschweren durch behördliche Schikanen wird durch den Begriff paper wall von David S. Wyman sehr treffend dargestellt.

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu erwähnen, dass das jüdische Leben in Deutschland durch das NS-Regime erheblichen Einschränkungen unterlag , diese beeinträchtigten die notwendigen Prozesse merklich. Während der Zeit, die Eltern oder andere Familienangehörige damit beschäftigt waren, die notwendigen Unterlagen für das Affidavit zu besorgen, war es von essentieller Bedeutung, dass die Kinder die Familie zunehmend entlasteten. Ruth Danson, eine der Betroffenen, erinnert sich:

Und ich musste mich schon viel mehr kümmern als früher um das Haus, weil Mutti ging, um das Affidavit für Amerika zu kriegen für ihren Bruder.
Zitat von Ruth Danson, nach Eva-Maria Thüne


Im Exile Podcast¹⁰ des Leo Baeck Institutes beschreibt die Historikerin Hasia R. Diner diese Schikane, die jüdischen Mitbürger*innen erdulden mussten, treffend als Embassy Hopping und stellt so die Notwendigkeit dar, die Konsulate und Botschaften ständig aufzusuchen, was sich aus den widrigen Faktoren, wie der begrenzten Gültigkeit der Dokumente und der Komplexität des Prozesses an sich, ergab.


Flussdiagramm zum Visumsprozess.




Bedeutung für die Familie Neugarten

Übersetzung des Briefes von Max Neugarten an den "National Council of Jewish Women"
via University of Texas at El Paso Library

.

Es ist bekannt, dass Max Neugarten am 24.Mai 1938 einen Brief an den National Council of Jewish Women in New York City schrieb, in dem er um Asyl bittet und erklärt, dass er Freunde sowie Familie hat, die für ihn und seine Familie bürgen würden. Konkret handelte es sich bei den Kontakten um Emilie Horwitz in Chicago, die Schwester von Frieda Stern, sowie den Cousin Edwin Wissbrun, in El Paso. Der gesundheitliche Zustand der Schwester machte vermutlich die Übernahme einer Bürgschaft unmöglich, aber Edwin Wissbrun erklärte sich bereit, für die Familie zu bürgen. Unter Berücksichtigung der oben genannten Voraussetzungen kann man nur spekulieren, ob der Visumsantrag der Familie Neugarten erfolgreich hätte sein können, denn der bürokratische Aufwand sowie die erhobene Reichsfluchtsteuer erschwerten den Prozess enorm.



















Weiterführende Literatur, Internetseiten, Belege und andere Medien

Einzelnachweise

[0]Ernst G. Löwenthal, Hans Oppenheimer, Philo-Atlas Handbuch für d. jüd. Auswanderung, 3. Band der Reihe der Philo-Lexika, 1938, S.1-2 Z. 35-43; https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1032704535#page/n0/mode/1up.
[1] Hedwig Fischer, Glossar der Universität Stuttgart, Stichwort Affidavit, Zugriff am 23.10.2023, 14:30 Uhr, https://www.hi.uni-stuttgart.de/gnt/exil/Glossar/Affidavit.html
[2] Wikipedia Artikel, Philo-Verlag, Zugriff am 18.12.2023, 14:25 Uhr , https://de.wikipedia.org/wiki/Philo-Verlag
[3] Wikipedia Artikel, Affidavit , Zugriff am 23.10.2023, 14:30 Uhr, https://de.wikipedia.org/wiki/Affidavit
[4] United States Holocaust Memorial Museum, How Many Refugees Came to the United States from 1933-1945?, https://exhibitions.ushmm.org/americans-and-the-holocaust/how-many-refugees-came-to-the-united-states-from-1933-1945
[5] Aubrey Pomerance, Montag,6. November 1933 - Affidavit für Alwine Kornstein, https://www.jmberlin.de/1933/de/11_06_affidavit-fur-alwine-kornstein.php
[6] Plunkett Lake Press, Artikel des Verlags zu "Paper Walls: America and the Refugee Crisis, 1938-1941 by David S. Wyman, https://plunkettlakepress.com/pw.html
[7] Anne Frank Zentrum, Zitatsammlung zu Einschränkungen des jüdischen Lebens, https://www.annefrank.de/fileadmin/Redaktion/Themenfelder/Antisemitismus_entgegenwirken/Dokumente/arbeitsmethoden-antisemitismus_7-2.pdf
[8] Project Living Diversity in Germany and Israel, Sammlung von Verboten für jüdische Bürger*innen, https://living-diversity.org/wp-content/uploads/2018/12/Just-like-any-other-day.pdf
[9] Eva-Maria Thüne, Gerettet. Berichte von Kindertransport und Auswanderung nach Großbritannien, Leipzig 2019, S.61. https://www.perlentaucher.de/buch/eva-maria-thuene/gerettet.html
[10] Exile Podcast Episode 2: Where To From Here?, Leo Baeck Institute, New York, USA https://open.spotify.com/episode/3SqpZH0GtNoTtheFduRG3D

Gedruckte Informationen / Archivalien

Ernst G. Löwenthal, Hans Oppenheimer, Philo-Atlas Handbuch für d. jüd. Auswanderung, Leipzig / Frankfurt, a.M. 1938
Victor Semerijan, Artists in Exile: The Great Flight of Culture, Vancouver 1976.
David S. Wyman, Paper Walls: America and the Refugee Crisis, 1938-1941, Amherst 1968.
Eva-Maria Thüne, Gerettet. Berichte von Kindertransport und Auswanderung nach Großbritannien, Leipzig 2019.

Audiovisuelle Medien

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FiveCore Media, Kyle Hufford , Vital Passage: A Holocaust Rescue Story, Goshen, Indiana, USA, 2021
https://www.fivecoremedia.com/vitalpassage/

Das Bild bitte anklicken, um den Podcast auf Spotify zu hören.


The Leo Baeck Institute, Exile- Podcast, New York / Berlin, USA / Deutschland
https://open.spotify.com/show/3Xv8lmVmygljtOhw5c2hFW (Englisch)
https://open.spotify.com/show/2T9TmXJPc4nyBxrAjECl5r (Deutsch)

Weiterführende Links

Seite des Leo Baeck Institutes, ein Archiv mit Fokus auf die Geschichte des deutschsprachigen Judentums.
https://www.lbi.org/de/

Seite des Anne Frank Zentrum, eine Website mit verschiedenen Ausstellungen und Bildungsangeboten zum jüdischen Leben.
https://www.annefrank.de/

Website des United States Holocaust Memorial Museums mit Sammlungen und Quellen mit Fokus auf den Holocaust.
https://exhibitions.ushmm.org/americans-and-the-holocaust