Johanna Stern: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Verfassung von 1870/71 garantierte jüdischen Bürgern in Deutschland politische Gleichberechtigung, wodurch auch Johanna eine zumeist sorgenfreie Zeit verleben konnte, so wie jeder andere Bürger des Landes.
  
Eine Verfassung von 1870/71 garantierte jüdischen Bürgern in Deutschland politische Gleichberechtigung, wodurch auch Johanna eine zumeist sorgenfreie Zeit verleben konnte, so wie jeder andere Bürger des Landes.
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So mögen etwa der Erste Weltkrieg (1914-1918) bzw. seine Auswirkungen Spuren in Johannas Leben hinterlassen haben, diese betrafen sie jedoch wahrscheinlich weniger stark als die staatliche Umwälzung, die nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 stattfand.
 
 
So mögen etwa der Erste Weltkrieg (1914-1918) bzw. seine Auswirkungen Spuren in Johannas Leben hinterlassen haben, diese betrafen sie jedoch wahrscheinlich weniger stark wie die staatliche Umwälzung, die nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 stattfand.
 
  
 
==Familienleben==
 
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Version vom 28. März 2022, 16:24 Uhr

Lebensdaten

Johanna Stern (verheiratete Neugarten) wurde am 18. Februar 1902 in Unna als Tochter von Frieda Stern (geb. Horwitz) und Max Stern geboren. Sie verstarb vermutlich am 3. März 1943 in Auschwitz.

Jugend

Die Verfassung von 1870/71 garantierte jüdischen Bürgern in Deutschland politische Gleichberechtigung, wodurch auch Johanna eine zumeist sorgenfreie Zeit verleben konnte, so wie jeder andere Bürger des Landes.

So mögen etwa der Erste Weltkrieg (1914-1918) bzw. seine Auswirkungen Spuren in Johannas Leben hinterlassen haben, diese betrafen sie jedoch wahrscheinlich weniger stark als die staatliche Umwälzung, die nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 stattfand.

Familienleben

Am 14. Februar 1933 heirateten die dreißigjährige Johanna und der Dortmunder Kaufmann Max Neugarten. Fortan lebten sie gemeinsam und mit Johannas Eltern in der Rheinischen Straße 29 in Dortmund.

Johannas Schwiegereltern betrieben mit einem Laden für Herrenartikel eines der insgesamt neun in der Rheinischen Straße ansässigen jüdischen Geschäfte, die ab März -etwa zwei Wochen nach Johannas Heirat- im Zuge des Ermächtigungsgesetzes und der damit einhergehenden zunehmenden Diskriminierung jüdischer Bürger von Boykotten gegen deren Geschäfte betroffen waren. Auch gegen ihren Trauzeugen Martin Rosenbaum, einen Geschäftsmann aus Hombruch, wurde am 11. April desselben Jahres in dem linientreuen NS-Publikationsorgan "Westfälische Landeszeitung - Rote Erde" öffentlich gewettert. Die finanzielle Situation der Familie dürfte daher, da Johannas Mann ebenfalls im kaufmännischen Bereich tätig und dadurch wenig später von einem Berufsverbot betroffen war, eine angespannte gewesen sein.

Am 25. Dezember, etwa zehn Monate nach der Heirat, wurden Johanna und Max Eltern einer Tochter, die sie Liesel nannten. Dies war bereits zur damaligen Zeit ein Name, der als deutsch wahrgenommen wurde, auch wenn sich sein Ursprung im Hebräischen findet. Erwähnenswert sei hier ein 1936 in der Stadt Leer entbrannter Streit, weil sich ein Standesbeamter weigerte, den Namen Liesel für ein jüdisches Mädchen zu registrieren. Der Name ist eine diminutive Form von Elisabeth und bedeutet "Mein Gott ist Fülle" oder "Gott ist mein Schwur". Spekulativ betrachtet, könnte daher die Geburt der Tochter und das Mädchen selbst als Hoffnung auf Besserung der persönlichen Situation in der Lebenswelt der Neugartens verstanden werden, auch indem deutsche und jüdische Herkunft gleichermaßen gewürdigt wurden.

Die folgenden Jahre waren von vielen weiteren tiefen Einschnitten in die Freiheit jüdischer Bürger geprägt. So stellt sich unter anderem die Frage, wie Johanna die Zeit mit Liesel verbrachte, wenn kaum finanzielle Mittel vorhanden waren, sie von der Nutzung von Spielplätzen und Parks ebenso ausgeschlossen waren wie die Tochter (ab 1938) vom Schulbesuch und öffentlich Sport zu treiben undenkbar, weil verboten war.

Im Jahr 1942 wurde die Familie Neugarten in ein sogenanntes Judenhaus in der Steinstraße 14 in Dortmund zwangsumgesiedelt.

Deportation

Am 27. Februar 1943 wurde Johannas Ehemann Max an seiner Arbeitsstelle verhaftet und zur Sammelstelle Gasthof "Deutsches Haus" in Dortmund-Brackel transportiert. Seine Familie wurde aufgefordert, sich bereits am nächsten Tag ebenfalls dort einzufinden.

Wenige Tage später, am 1. März, wird die Familie zur Deportation nach Auschwitz zum Dortmunder Südbahnhof gebracht. Dafür wurden sie zunächst mit der Straßenbahn von der Sammelstelle bis zum Ostentor transportiert und legten danach den Rest der Strecke zu Fuß zurück. Die etwa 1000 Kilometer lange Strecke von Dortmund nach Auschwitz verbrachte die Familie anschließend mit anderen jüdischen Menschen in Viehwaggons. Unter diesen befanden sich unter anderem der Fußballnationalspieler Julius Hirsch und der später bekannte Schauspieler Imo Moszkowicz.

Am Abend des 3. März 1943 kam die Familie in Auschwitz an.

Tod

Während Max Neugartens Name noch einmal auf einer Häftlingsliste erscheint, aus der hervorgeht, dass er bei der Selektion an der Rampe in Auschwitz den "Arbeitsfähigen" zugeordnet wurde, ist unbekannt, was mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter geschah.

Die 41-jährige Johanna und ihre neun Jahre alte Tochter wurden vermutlich direkt nach Ankunft und Selektion in Auschwitz getötet.

Am 15. Februar 1946 erschien in der jüdischen New Yorker Exilzeitung "Aufbau" eine Todesanzeige, in der unter anderem Johanna, Liesel und Max Neugarten genannt werden. Abgegeben wurde diese Anzeige von Mitgliedern der Familie Neugarten, die ihrer Angehörigen mit folgenden Worten gedachten:

Wer unser eng verbundenes, liebes Familienverhältnis kannte, weiß, was wir verloren haben und wird unseren großen Schmerz verstehen.