Helga Jordan (SEK)

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Vermutlich Helga Jordan (roter Kreis)

Lebensdaten

Helga Jordan wurde am 24.03.1912 in Dortmund als Tochter von Albert Aaron Jordan und Auguste Jordan geboren. Die Familie Jordan gehörte der jüdischen Gemeinde Dortmund an.

Ihre Eltern betrieben ein Textilgeschäft in der Rheinischen Straße. In derselben Straße, im Haus Nummer 56, wohnte die Familie und wuchs Helga Jordan auf, bis sie im Jahr 1934 unter Druck des NS-Regimes in eine kleinere Wohnung in der Adlerstraße ziehen mussten.

Im Jahr 1937 besuchten Albert und Auguste Jordan ihre Tochter Helga Jordan, welche zu diesem Zeitpunkt, genau wie ihr Bruder Hermann, bereits in Palästina lebte. Sie kehrten nach Deutschland zurück, um anschließend mit ihrem Haushalt einzuwandern, mit dem Plan, gemeinsam mit ihren Kindern ein neues Leben im zukünftigen Israel aufzubauen. Dies konnten sie allerdings nicht verwirklichen, weil sie beriets 1938 nicht mehr aus Deutschland ausreisen konnten. (1)

„Meine Eltern waren noch 1937 bei mir im Land zu Besuch, als meine Tochter geboren wurde, dann sind sie zurück, weil sie wollten doch mit dem Haushalt kommen, 38 konnten sie nicht mehr raus, das sind die schlimmste Dummheit, die wir gemacht haben, wir hätten die Eltern nicht zurückgehen lassen sollen“ Zitat Helga Lillie Interview Minute 28 
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Ausbildung

Helga Jordan „besuchte 3 Jahre die Vorschule, dann das Städtische Schillerlyzeum und schliesslich die Realgymnasial-Studienanstalt des Schillerlyzeums in Dortmund.“ ( Zitat Helga Lillie in der Eidesstattlichen Erklärung) (2) Dort absolvierte sie am 08. März 1932 die sogenannte Reifeprüfung, zu vergleichen mit dem heutigen Abitur. Ihre Lieblingsfach war Englisch, später spielte sie auch sehr gerne Scrabble in Englisch. (Interview Minute 2.30)
Helga Jordan hatte ursprünglich den Wunsch, Ärztin zu werden, es war ihr jedoch nicht möglich nach der Schule ein Studium anzutreten, da ihr Vater am 31. Dezember 1932 sein Geschäft aufgrund der Wirtschaftskrise einstellen musste und es an seinen Bruder Arthur Jordan übergab. Die zusammengelegten beiden Firmen liefen unter dem Namen bereits bestehenden brüderlichen Geschäfts, Geschwister Jordan GmbH. Es handelte sich um ein Manufakturwarengeschäft in der Münsterstr. 41-45. Später äußerte Helga, dass es an sich aber gut war, dass sie keine Ärztin geworden sei, weil sie zwar sehr gut helfen könne, aber kein Blut sehen könne. (Minute 23.34) Im selbigen Geschäft begann Helga Jordan, statt dem gewünschten Studium der Medizin, nun eine kaufmännische Lehre. Diese konnte sie allerdings nicht beenden, da es im Jahr 1933, nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, immer wieder zu Konflikten mit der nichtjüdischen Belegschaft kam, weil Helga die ungleiche Behandlung nicht akzeptierte und

„niemals ein Blatt vor den Mund nahm und auch glaubte als Nichte des Inhabers [ihre] Meinung sagen zu dürfen.“(Zitat Helga Lillie in der Eidesstattliche Erklärung) (3)

Ihr Weg in den Nahen Osten

Durch den Rabbiner Dr. Wilhelm, welcher sowohl ihrer als auch der Lehrer ihres Bruders Hermann Jordan war, sowie durch ihre erste Liebe, eine Ferienbekannschaft, hatte Helga bereits früh einen Zugang zum Grundgedanken des Zionismus und ein Veständnis für dessen Bedeutung für das jüdische Überleben. Diese Relevanz ergibt sich durch die Jahrtausende lange Verfolgung und immer wieder versuchte Auslöschung jüdischen Lebens. Helga beschloss relativ schnell, Deutschland zu verlassen. Sie war vorher "treu deutsch bis in die Knochen", doch mit Hitlers Machtübernahme "war sie keine Deutsche mehr" (Interview Minute 10.29) Im August ging sie nach Lyon, um dort an ihrem ersten Hachschara-Kurs (4) teilzunehmen, mit der Absicht, Grundkenntnisse für die bevorstehende Alija (5), darunter versteht man die Auswanderung und Besiedelung des britischen Mandatgebietes, zu erwerben, wie zum Beispiel Fähigkeiten im land-, hauswirtschaftlichen wie handwerklichen Bereich. Im Februar 1934 lebte sie für einen Monat bei ihren Eltern in die Rheinische Straße. Im Anschluss zog sie nach Groß Glagow, um an einem weiteren Hachschara Kurs, diesmal im landwirtschaftlichen Bereich, teilzunehmen. Nach der Absolvierung des Kurses verbrachte sie den Winter des Jahres 1934 erneut bei ihren Eltern, welche mittlerweile in der Kaiserstraße wohnten. Im Frühjahr 1935 zog sie von ihren Eltern aus nach Köln in das dortige Beth Chaluz (Haus der Pioniere) in der Utherechtstraße. Das Beth Chaluz war das Gemeindehaus der zionistischen Organisation Hechaluz, welche junge Jüdinnen und Juden, bei der Vorbereitung wie Vermittlung, aller möglichen Belange rund um Alija unterstütze. Bei dieser Organisation wartete sie auf ihre Arbeitserlaubnis im zukünftigen Israel. (6) Die Kosten für die Alija betrugen rund 490 Reichsmark, welche ihr Onkel Arthur Jordan übernahm. (7)

Antreten der Alija

Eine Woche, nachdem sie ihre Arbeitserlaubsnis erhalten hatte, emigrierte Helga Lillie am 22.08.1935 schließlich von Dortmund über Köln in das britische Mandatsgebiet Palästina. Bei ihrer Ankunft hatte sie noch 10 Reichsmark von dem Geld ihres Onkels übrig. Wo genau sie bei ihrer Ankunft in Israel zuerst lebte ist nicht bekannt, vermutlich aber in dem Be`er Tuvia, einem Moshav im Süden Israels, von welchem sie und ihr erster Mann Richard später in das Moshav Kfar Warburg zogen.(Interview Minute 50.56 )

Leben im Moshav und im Kibbutz

Helga und ihr erster Mann Richard Danniel Lillie lernten sich bereits in ihrer Vorbereitungszeit im Chaluz kennen. Dort fragte Richard Helga bereits, ob sie ihn heiraten wolle, da er für die Auswanderung nach Israel eine Ehefrau brauche. Dies lehnte sie jedoch ab, weil sie so viel Zeit in die Hashara investierte, dass sie ein eigenes Zertifikat besaß. Dieses zu nutzen und als eigenständige und freie Frau nach Israel zu kommen war ihr sehr wichtig.(Interview Minnute 46.11). Richard kam mit einer fiktiven Ehefrau nach Israel, von welcher er sich bei Ankunft jedoch sofort trennte. Angekommen in Israel trafen sich Helga und Richard wieder, heirateten und schlossen sich gemeinsam der Siedlungsgemeinschaft dem Moshav Be´er Tunia an, von wo aus sie schließlich in das Moshav Kfar Warburg zogen. Das genaue Umzugsdatum ist nicht bekannt, es ist nur bekannt das sie nach Ende des Krieges in Kwar Warburg lebten. Helga war sehr idealistisch veranlagt und wollte das Land aufbauen. Sie war sich im Voraus jedoch nicht bewusst, wie anstrengend das Leben in dem Moshav sein würde. Sie war unzufrieden und hätte sich auch gerne gelgentlich mit etwas anderem als der Arbeit auf dem Hof beschäftigt, wie zum Beispiel ihrer Leidenschaft, dem Singen nachzukommen. Davon war Richard allerdings nicht begeistert, da dieser sich ausschließlich um den Aufbau und die Instandhaltung des Hofes und der Siedlung kümmerte.(Interview Minute 10.45). Im Moshav lebten sie teilweise 14 Jahre ohne Strom (Interview Minute 24.59 und 21.01 ). Unter diesen schwierigen Bedingungen litt auch ihre Ehe.

Ungefähr 1959 bekam Helga Lillie eine steife Hand, so dass sie nicht mehr auf dem Hof helfen konnte. Sie musste sich umorientieren und begann fortan Englisch zu unterrichten. (Interview Minute 3.39) Im Unterrichten fand Helga etwas, was ihr sehr gut gefiel und was sie bis ins hohe Alter verfolgte. Helga war erstaunt wie anstrengend geistige Arbeit seien konnte und das sie anschließend immer sehr müde war. Richard hatte dafür keinerlei Verständnis, da sie, wie er meinte doch nur Stundenlang auf einem Stuhl saß. (Interview Minute 3.54)

Gemeinsam mit Richard bekam sie zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Die Tochter wurde im Jahr 1937 geboren. Ihr Name war Jardennna, in Anlehnung an Helgas Familiennamen Jordan. Der Sohn von Helga und Richard wurde vermutlich im Jahr 1941 geboren, sein Name ist allerdings nicht bekannt. Helga erwähnte zwar, dass sie und Richard bereits kurz nach ihrer Ankunft in Israel heirateten, eine offizielle Trauung fand allerdings erst viele Jahre später statt. Dafür gab es verschiedene Gründe. Zum einen war Richard offiziell noch mit seiner fiktiven Frau, welche er für die Einreise nach Israel brauchte, verheiratet. Die beiden trennten sich zwar unmittelbar nach ihrer Ankunft in Israel, an eine Scheidung dachten sie damals, aus Kostengründen, jedoch nicht. Für den Rabbiner Dr. Willhelm stellte diese fiktive Ehe jedoch kein Hindernis da und er traute Richard und Helga dennoch. Dr. Willhelm besaß allerdings keine offizielle Erlaubnis zur Vollziehung von Ziviltrauungen, so das die britische Mandatsregierung diese nicht anerkannte. Erst im Jahr 1950, als ihre Tochter 13 Jahre alt war, fand eine offiziell anerkannte Hochzeit statt. Für diese wollten sie in die Niederlande reisen und die dafür benötigten gültigen Reispässe bekamen sie erst in diesem Jahr. (Interview Minute 49.50

Helga und Richards Sohn bekam mit seiner Frau 4 Kinder, 3 Söhne und eine Tochter. Sohn und Schwiegertochter übernahmen zuerst den Hof, führten diesen jedoch nur 5 Jahre, weil die Schwiegertochter nicht im landwirtschaftlichen Bereich arbeiten wollte. Der Sohn arbeitet fortan als Autofachmann. Einige Jahre später ließen er und seine Frau sich scheiden, was Helga große Sorgen bereitete. Helga und Richards Tochter Jardenna hatte 3 Kinder, eine Tochter und zwei Söhne, von denen einer im Jahr 1982 im Libanonkrieg gefallen ist.(Interview Minute 15.50)

Richard Daniel Lillie starb schließlich im Jahr 1979. (Interview Minute 11.53)

Einige Jahre nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete Helga erneut. Sie heiratete Walder Hein, welchen Sie bereits ihr ganzes Leben lang kannte. Walder Hein und sie begegneten sich durch einen Zufall in Israel wieder. Als Jardenna noch ein Baby war, kam Walder Hein um ihren Mann Richard zu bitten, sich von seiner fiktiven Ehefrau, offiziell scheiden zu lassen, da diese seinen Bruder Alex heiraten wolle. Eine Hochzeit sei aber erst nach zuvorheriger Scheidung möglich. Die Kosten für die Scheidung übernahm die Familie Hein. Da Helga und Walter sich von früher kannten und Helga auch die Frau von Walder Hein aus Emden kannte, kam es dazu, dass Richard und Helga in regelmäßigen Abständen die Familie Hein in dem Kibbutz Giv´at Brenner besuchte. Ob zu Geburtstagen, oder mit Besuch aus Deutschland. (Interview Minute 46) Nach dem Tod ihres 1. Mannes Richard war Helga selten zu Hause, so verpasste sie die Nachricht von dem Tod der Frau von Walder Hein und konnte nicht zu Beerdigung. Ein Jahr nach ihrem Tod erfuhr Helga von der Tochter Heins, dass ihre Mutter gestorben sei. Sie bedauerte sehr nicht zu Beerdigung gewesen zu sein, da sie ja auch schließlich immer wenn es schön war dort war. (Minute 51.00) Sie meldete sich bei Walder Hein und die beiden nahmen wieder Kontakt auf. Hatte Helga es vorher nicht bemerkt, so merkte sie nun wie hingezogen sie sich zu Walder fühlte um bemerkte seine Verehrung ihr gegenüber. Ungefähr im Jahr 1972 heirateten Walder und Helga, mit dem Einverständnis all ihrer Kinder, schließlich. Sie zog zu ihm ins Kibbutz Giv´at Brenner. Sie sagte aus, dass dies die glücklichste Zeit ihres Lebens war. War sie ihr ganzes Leben lang unsicher und hatte kein gutes Selbstbild, gerade in der Schulzeit, fand sie in der Ehe mit Walder ein ganz neues Selbstvertrauen. Hier konnte sie ihrer Leidenschaft dem Singen nachgehen, welches Walder mit ihr teilte. (Interview Minute 46.47) Sie lernte sogar Buchbinderei und war unfassbar froh über das Leben im Kibbutz, welches ganz anders als das, von harter Arbeit geprägte Leben, im Moshav war. Die Ehe von Helga und Walder Hein dauerte allerdings nicht einmal 2 Jahre an, da Walder Hein starb.

Versuch der Auseinandersetzung mit der Shoa

Nach dem Tod ihres zweiten Mannes zog Helga schließlich im Jahr 1985 nach Jerusalem. Sie mochte das Leben im Kibbutz zwar sehr, doch wäre sie dort ganz alleine gewesen. Ihre Tochter Jardenna lebt ebenfalls mit ihrer Familie in Jerusalem. Sie und Helga haben engen Kontakt und sehen sich mindestens einmal in der Woche. (Interview Minute 56.30) In Jerusalem lebt Helga in einem Altersheim, sie war körperlich eingeschränkt doch nutzte sie die ihr dadurch vorhandene Zeit viel zum Nachdenken. Sie dachte über ihr gesamtes Leben nach, über ihr Leben im Moshav und die Unterschiede zu ihrem darauffolgenden Leben im Kibbutz. Besonders intensiv beginnt sie jedoch über ihre ermordeten Verwandten nachzudenken, über den immer schon latent bestehenden Antisemitismus und dessen grausame Zuspitzung in der Shoa. Sie denkt intensiv über das erlebte Leid von Jüdinnen und Juden nach und umso intensiver Helga sich damit auseinandersetzen, umso weniger kann sie dies begreifen.

"Uns Juden, was waren wir groß anders?" Zitat Helga Lillie Interview Minute 29.50

Weiterführende Literatur, Internetseiten und Belege

Einzelnachweise

1, 2,3,6, 7 Eidesstattliche Erklärung von Helga Lilie geb. Jordan, Tel-Aviv, 24.10.1956, Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, Wiedergutmachungen 161180:

4. https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ueber/hachschara Abrufdatum: 27.11.23

5. https://www.wikiwand.com/de/Alija Abrufdatum 27.11.23

6. https://www.ghetto-theresienstadt.de/pages/h/hechaluz.html

8. . RP Arnsberg, Bescheid in der Entschädigungssache der Frau Helga Lilie, geb. Jordan, Arnsberg, 27.08.1957, Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, Wiedergutmachungen 161180:

9. https://www.nli.org.il/en/a-topic/987007467987105171 National Libary of Israel, Abrufdatum 04.12.23 mit Linkverweis zu Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Kfar_Warburg Abrufdatum 04.12.23

Internetquellen

Archivalien und Tondokumente