Hans Münch — KZ-Arzt in Auschwitz

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Personendaten

Name: Hans Wilhelm Münch
geboren: 14. Mai 1911, Freiburg im Breisgau
verstorben: 06. Dezember 2001, Roßhaupten (BAY)
Dienstgrad: SS-Untersturmführer
Beruf: Mediziner, u.a. in Auschwitz tätig, nach dem Krieg aber freigesprochen.
Weiterführende Informationen zu der Person finden Sie auf Wikipedia

„Schuldig.“ – In dubio pro reo?

„Nur tat ich den Dienst des Deutschen.
Musste auch fürchten, scheussliches Doppel-S-Kommando.
Bin Arzt, kein Soldat! Wusst’ mir anders nicht zu helfen.
Schande, ja,– anders undenkbar…“

[...]

„Primitiv war sie, die Selektion: wer alt, zu schwach, ging links zur Exekution.
Der Rest zum Insassen abgewickelt. Danach daran geforscht, entwickelt.
Doch nicht ich hab' das entschieden. Erneut Soldaten und Wissenschaftler,
ein jeder für sich, die Wahl betrieben.“

[...]

„Ja, die Feuer brannten Tag und Nacht, so viele so lang.
Gruben voll von Menschensaft, hat zwar gedauert bis es klappt
- gelöst durch Wissen –
war es entfacht. Simpler war es kaum zu erreichen.
Stapel? Kein Vergleich für all die Leichen.
Der Himmel stets grau und voller Gestank,
die Praxen hielt ich verschlossen.“

[...]

„Vereinfacht gesagt, wurde dort steril gemacht.
Also das jüdische Volk.
Versuche gab es reichlich, in der Tat.
Wer was wollte testen,
dem gab man.
Gar Wichtig für die Wissenschaft.
Doch noch anderem ging Ich nach:
Experimente harmlos, die bewahrten vor dem Inferno.
Fragt die Mädel, ihr Leben Zeugnis,
dass ich Wohl wollte.“

[...]

„Klar gab es auch den Zwischenfall,
ein halbes Jahr pro Kopf war maximal.
Waren Sie dann doch nicht mehr zu gebrauchen,
– also,
Ging es dann doch nicht mehr so gut,
waren die Hände mir gebunden.
Letztlich ging es auf den Haufen.“

In dubio pro reo.


Wer’s glaubt, läuft ewig – davon.¹


Im Zweifel – für den Angeklagten?

... oder über die Auseinandersetzung mit einer historischen Figur und mit den Verbrechen der eigenen Familie(-n)


Erinnerungsarbeit ist ein Prozess der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der sowohl eine ethische als auch eine historische Dimension hat.²

Sie fragen sich vielleicht, weshalb ich, der Autor, mich in lyrischer Form mit einer kontroversen Person des Nationalsozialismus auseinandergesetzt habe. Vielleicht zweifeln Sie auch, ob diese Form der Erinnerungsarbeit dem Anspruch einer historischen Plattform wie dieses Projekts gerecht wird. Und vielleicht kommt es Ihnen so vor, als würde ich mit meinem Artikel mehr ethische Fragen stellen als diese zu beantworten. Es bleibt Ihnen überlassen, welches Urteil Sie hierüber fällen. Doch ich möchte mich trotzdem – wenn Sie es gestatten und sich die Zeit nehmen möchten – zu meinen Beweggründen äußern.

Die unter der Führung des Hitler-Regimes legitimierte Kriminalität des Nationalsozialismus gehört zu den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Dabei schockiert mich persönlich am meisten die Brutalität, die ausgefeilte Systematik und die Abgeklärtheit der Beteiligten – und hierbei meine ich wirklich alle, die ihren Teil zu dieser Maschinerie der gruppenbezogenen und letztendlich tödlichen Menschenfeindlichkeit beigetragen haben.

Dabei klammere ich weder mich selbst noch meine Familie aus. Ganz im Gegenteil. Mein Großvater väterlicherseits war ein Offizier der Schutzstaffel und bei der Luftwaffe tätig – der genaue Dienstgrad ist mir leider nicht bekannt. Er wurde später von den alliierten Kräften gefangen genommen, ansonsten „gäbe es mich wohl nicht“ – Zitat meines Vaters. Viel mehr Auskünfte gab er mir hierzu nicht.

Mein Urgroßvater mütterlicherseits hat einen Friseursalon in Bamberg betrieben, in dem er ein „Juden nicht willkommen!“-Schild im Schaufenster aufstellte – er wurde später in den Krieg eingezogen und auch von den Alliierten gefangen genommen. Meine Großmutter meinte dazu nur, dass der Aushang im Laden aber legitim gewesen sei, da ihr Vater ja persönliche Erfahrungen mit Juden gemacht habe.

Wie begegnen wir dem, was wir ausgeschlossen haben, um zu überleben, sei es die Rückkehr des Verdrängten oder die Rückkehr des Fremden?³
Interview des alpha-Forum mit Frau Teege
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Auf weitere kritische Nachfragen meinerseits reagierten sowohl mein Vater als auch die Mutter meiner Mutter relativ gleich: Sie wichen aus. Für mich waren das Verheimlichen und die Ausflüchte einige Zeit lang schwer nachzuvollziehen. Zumindest bis ich das Buch von Jennifer Teege, „Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen“, gelesen habe. Ein wichtiger Aspekt des Buches ist der Selbsterhaltungstrieb der Angehörigen von Schwerverbrechern wie Amon Göth, dem „Schlächter von Plaszow“. Die einen flüchten vor den vernichtenden Schuldgefühlen und der bodenlosen Scham in weltfremde Narrative, wie die Großmutter von Frau Teege. Die anderen leugnen ihr Wissen um die Tatsachen und versuchen ihre Hände in Unschuld zu waschen, wie zum Beispiel die meisten der deutschen Industriellenfamilien und Kriegsprofiteure.

Manche, die wenigsten, versuchen Wiedergutmachung zu leisten, setzen sich – auch wenn es schmerzhaft ist und sehr schwer fällt – mit den Handlungen ihrer Verwandten und Bekannten auseinander. Hierfür ist ein Beispiel Hans Schütz, der in seinem Buch „Der gute Mensch von Auschwitz?“ über seine positiven Jugenderfahrungen mit Dr. Hans Münch berichtet und den Schock thematisiert, den er am eigenen Leibe erfährt, als er herausfindet, mit was für einem Mann er es die ganze Zeit eigentlich zu tun hatte.

Der Arzt Dr. Hans Münch, war der einzige Kriegsverbrecher, der in Auschwitz als Teil des NS-Regimes gearbeitet hatte, und dem Todesurteil durch das Kriegsgericht in Krakau, Polen 1947 durch Freispruch entkommen war. Dies ermöglichten ihm seine „Angestellten“ – die ihm zugewiesenen Häftlinge –, die vor Gericht aussagten, wie wohlwollend Herr Münch doch gewesen sei und, dass dieser viele Insassen vor dem Tod bewahrt habe.

Tonbandmitschnitte des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt (1963-1965)
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Wenn Sie mich, einige Experten und Expertinnen fragen, hat Herr Münch ausreichend Verstand gehabt, um sich mit diesen sogenannten „Persil-Scheinen“ rechtzeitig abzusichern. Zudem erregten die Aussagen der Entlastungszeugen den Anschein, dass Münch vertrauenswürdig sei. Später – 1964 – wollte das Gericht in Frankfurt diesen Umstand nutzen, um anhand von Münchs Wissen weitere Angeklagte im Auschwitz-Prozess zu belasten. Allerdings verschleierte der Zeuge bei Befragungen die wahren Umstände, indem er, wenn es um direkte Fragen zu Mittätern und ihrem Verhalten ging, verschwindend gering konkrete Aussagen tätigte. Seine vermeintliche Expertise wurde zudem genutzt, um die KZ-interne Dokumentation der Ärzte zu entwirren. Wie viel Glauben der Analyse Münchs geschenkt werden kann, ist fraglich.

Denn in Interviews und Aussagen Münchs wird sein wahrer Charakter deutlich. Dieser Mensch verkörpert für mich eine weitere Riege der Beteiligten des NS-Regimes – die egozentrischen Opportunisten.

Als ich mich anfangs mit Münch befasst habe, dachte ich noch ich könnte einen sachlichen Artikel über ihn, sein Handeln und den von ihm beschriebenen Lageralltag verfassen. Dabei hatte ich mir vorgenommen einen anderen Blickwinkel einzunehmen und nachzuvollziehen, warum einige Persönlichkeiten für ihre grausamen Handlungen nicht oder nur gemäßigt zur Rechenschaft gezogen wurden. Doch je mehr ich mich mit der Materie und der Haltung des Mediziners Münch auseinandersetze – der sich nebenbei bemerkt freiwillig für den Dienst in Auschwitz meldete, um, eigenen Aussagen zufolge, nicht in Roßhaupten mit seinen Talenten versauern zu müssen –, merkte ich, wie emotional mein Subtext wurde. Es war mir schlichtweg nicht möglich, so unsagbar viel Leid der Opfer und die nüchterne Abgeklärtheit der Täter objektiv zu beurteilen.

Ich war gelähmt davon, wie detailliert und anteilnahmslos Dr. Münch von den Scheiterhaufen aus Leichen erzählte. Ich stellte mir vor, wie dieser Wahnsinn in Auschwitz tagtäglich ausgesehen haben musste. Wie abgerichtet mussten die Gefängniswärter gewesen sein, um den Gestank und die Flammen ignorieren zu können? Wie rücksichtslos war die Einstellung der „Wissenschaftler“, die in Auschwitz nicht viel mehr als unerschöpfliche Ressourcen für ihre Forschung sahen? Gibt es überhaupt einen passenden Ausdruck für die Tyrannei, die den Inhaftierten und deren Angehörigen widerfahren ist?

Diese und viele weitere Fragen zermarterten mein Gehirn und ich kam zu der Erkenntnis, dass ich kein sachliches Urteil fällen konnte. Und zudem bleiben bedauerlicherweise viele Fragen schlicht ungeklärt. Nur die Individuen selbst wissen darauf eine Antwort zu finden, doch die meisten der Täter schweigen.

Deshalb bin ich Herrn Münch zumindest im historischen Sinne für eine Sache dankbar. Dadurch, dass er so selbstbewusst und offen über die Zustände im Lageralltag und seine Arbeit berichtete, war es mir möglich die unmittelbare Perspektive der Exekutive des nationalsozialistischen Regimes einzunehmen. Kein gutes Gefühl, jedoch verschaffte es mir zumindest etwas Klarheit. Im Zweifel also für den Angeklagten? In diesem Fall lautet meine Antwort ganz klar: "Nein!"


Weiterführende Literatur, Internetseiten und Belege

Einzelnachweise

[1] Aaron Rüb, Dortmund, 2022; es handelt sich um einen kreativen Schreibauftrag im Rahmen eines Literaturkurses des Westfalen-Kollegs Dortmund.
Der Autor spielt darauf an, dass die originalen Aussagen Münchs äußerst fragwürdig sind. Die Menschen, die dem Narrativ Münchs folgen, laufen selbst für immer vor ihrer und/oder der Verantwortung ihrer Verwandten davon.

[2] Barbara Gabriel, Die unerträgliche Fremdheit des Seins. Edgar Reitz' Heimat und die Ethik des Unheimlichen, in: Barbara Gabriel / Suzan Ilcan (Hg.) Postmodernism and the Ethical Subject, Montreal / Kingston 2004, S. 149-202.

[3] Julia Kristeva, Powers of Horror. New York 1982
Im englischen Original: How do we confront that which we have excluded in order to be, whether it is the return of the repressed or the return of the strangers?
Ein exakter Einzelnachweis ließ sich in den englischen Publikationen Kristevas nicht ausfindig machen. Das Zitat wird aber in der Sekundärliteratur - unter anderem auch von Barbara Gabriel - häufig genutzt. Wegen seines passenden Inhalts wird es trotzdem hier angeführt.

Trailer

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Die letzten Tage (Originaltitel: The Last Days). Amerikanischer Kino-Dokumentarfilm von James Moll.
Survivors of the Shoa Visual History Foundation. Regie James Moll. USA 1999, Freigegeben ab 16 Jahren.
Deutscher Start: 20. März 2000; Netflix // Abruf 16.09.2022


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