Johanna Stern

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Lebensdaten

Stolperstein zum Gedenken an Johanna "Hanna" Neugarten an der Rheinischen Straße 29 in Dortmund

Johanna Stern (verheiratete Neugarten; siehe Stammbaum) wurde am 18. Februar 1902 in Unna als Tochter von Frieda Stern (geb. Hurwitz) und Max Stern geboren. Ihr Rufname war, wie vielen Dokumenten zu entnehmen ist, Hanna.

Sie wurde vermutlich am 3. März 1943 im Konzentrationslager Auschwitz getötet.

Jugend

Johanna wuchs mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Margaret auf.

Die Verfassung von 1870/71 garantierte jüdischen Bürgern in Deutschland politische Gleichberechtigung, wodurch auch Johanna eine zumeist sorgenfreie Zeit verleben konnte, so wie jeder andere Bürger des Landes.

So mögen etwa der Erste Weltkrieg (1914-1918) bzw. seine Auswirkungen Spuren in Johannas Leben hinterlassen haben, diese betrafen sie jedoch wahrscheinlich weniger stark als die staatliche Umwälzung, die nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 stattfand.

Familienleben

Am 14. Februar 1933 heirateten die dreißigjährige Johanna Stern und der Dortmunder Kaufmann Max Neugarten. Fortan lebten sie gemeinsam mit Johannas Eltern in der Rheinischen Straße 29 in Dortmund.

Johannas Eltern betrieben einen Laden für Herrenartikel, eines der insgesamt neun in der Rheinischen Straße ansässigen jüdischen Geschäfte, die ab März - etwa zwei Wochen nach Johannas Heirat - im Zuge des Ermächtigungsgesetzes und der damit einhergehenden zunehmenden Diskriminierung jüdischer Bürger von Boykotten gegen deren Geschäfte betroffen waren. Auch gegen ihren Trauzeugen Martin Rosenbaum, einen Geschäftsmann aus Hombruch, wurde am 11. April desselben Jahres in dem linientreuen NS-Publikationsorgan "Westfälische Landeszeitung - Rote Erde" öffentlich gewettert. Die finanzielle Situation der Familie dürfte daher, da Johannas Mann ebenfalls im kaufmännischen Bereich tätig und dadurch wenig später von einem Berufsverbot betroffen war, eine angespannte gewesen sein.

Am 25. Dezember, etwa zehn Monate nach der Heirat, wurden Johanna und Max Eltern einer Tochter, die sie Liesel nannten. Dies war bereits zur damaligen Zeit ein Name, der als deutsch wahrgenommen wurde, auch wenn sich sein Ursprung im Hebräischen findet. Erwähnenswert sei hier ein 1936 in der Stadt Leer entbrannter Streit, weil sich ein Standesbeamter weigerte, den Namen Liesel für ein jüdisches Mädchen zu registrieren¹. Der Name ist eine diminutive Form von Elisabeth und bedeutet "Mein Gott ist Fülle" oder "Gott ist mein Schwur"². Spekulativ betrachtet, könnte daher die Geburt der Tochter als Hoffnung auf Besserung der persönlichen Situation in der Lebenswelt der Neugartens verstanden werden, auch indem deutsche und jüdische Herkunft bei der Namenswahl gleichermaßen gewürdigt wurden.

Die folgenden Jahre waren von vielen weiteren tiefen Einschnitten in die Freiheit jüdischer Bürger geprägt. So stellt sich unter anderem die Frage, wie Johanna die Zeit mit Liesel verbrachte, da sie nicht nur von der Nutzung von Spielplätzen und Parks ausgeschlossen waren, sondern es jüdischen Bürgern ebenfalls verboten war, öffentlich Sport zu treiben. Selbst die Anmeldung ihrer Tochter an einer Grundschule dürfte für Johanna schwierig gewesen sein, denn seit spätestens 1938 war jüdischen Schülerinnen und Schülern der Zugang zu staatlichen Schulen verwehrt worden.

1938 unternahm die Familie einen Versuch in die USA zu emigrieren. Ein auf den 14. Mai 1938 datierter Brief mit einem Hilfegesuch an das National Council of Jewish Women bezeugt dies.

Im Jahr 1942 wurde die Familie Neugarten in ein sogenanntes Judenhaus in der Steinstraße 14 in Dortmund zwangsumgesiedelt.

Deportation

Am 27. Februar 1943 wurde Johannas Ehemann Max an seiner Arbeitsstelle verhaftet und zur Sammelstelle Gasthof "Deutsches Haus" in Dortmund-Brackel transportiert. Seine Familie wurde aufgefordert, sich bereits am nächsten Tag ebenfalls dort einzufinden.

Wenige Tage später, am 1. März, wird die Familie zur Deportation nach Auschwitz zum Dortmunder Südbahnhof gebracht. Dafür wurden sie zunächst mit der Straßenbahn von der Sammelstelle bis zum Ostentor transportiert und legten danach den Rest der Strecke zu Fuß zurück. Die etwa 1000 Kilometer lange Strecke von Dortmund nach Auschwitz verbrachte die Familie anschließend mit anderen jüdischen Menschen in Viehwaggons. Unter diesen befanden sich unter anderem der Fußballnationalspieler Julius Hirsch und der später bekannte Schauspieler Imo Moszkowicz.

Am späten Abend des 3. März 1943 kam die Familie in Auschwitz an.

Tod

Gedenkblatt Johannas vom 14. März 1972 – mit freundlicher Genehmigung von Yad Vashem

Während Max Neugartens Name noch einmal auf einer Häftlingsliste erscheint, aus der hervorgeht, dass er bei der Selektion an der Rampe in Auschwitz den "Arbeitsfähigen" zugeordnet wurde, ist unbekannt, was mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter geschah.

Die 41-jährige Johanna Neugarten und ihre neun Jahre alte Tochter Liesel wurden vermutlich direkt nach Ankunft und Selektion am Abend des 3. März oder in der Nacht zum 4. März 1943 in Auschwitz getötet.

In der jüdischen New Yorker Exilzeitung "Aufbau" erschien am 4. Januar 1946, eine Traueranzeige, die von Johanna jüngerer Schwester Margarete Marcus und ihrem Mann aufgegeben wurde. In dieser Anzeige betrauert die Familie nicht nur den Tod der Mutter Frieda Stern, sondern bedauert auch Johannas, Max' und Liesels Deportation nach Auschwitz. Aus der Anzeige geht hervor, dass die Familie Marcus zum Zeitpunkt der Aufgabe des Inserats selbst keine Kenntnis über den weiteren Verbleib ihrer Familienmitglieder in Auschwitz hatte.

Am 15. Februar 1946 wurde in eben jener Zeitung ein weiterer Nachruf aufgegeben, in dem unter anderem Johanna, Liesel und Max Neugarten genannt werden. Mitglieder der Familie Neugarten gedachten hierin ihrer Angehörigen mit folgenden Worten:

Wer unser eng verbundenes, liebes Familienverhältnis kannte, weiß, was wir verloren haben und wird unseren großen Schmerz verstehen.

Weiterführende Literatur, Internetseiten und Belege

Einzelnachweise

[1] Menna Hensmann, Liesel Aussen, 7 Jahre, ermordet in Sobibor..., eine Sammlung, Zusammengestellt von Menna Hensmann, Leer 2008, S. 7. https://www.leer.de/media/custom/1778_56_1.PDF

[2] Kathrin Dräger, Elisabeth, in: Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands, 1.06.2022, Zugriff am 13.06.2022 http://www.namenforschung.net/id/name/83520/1

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