Dortmunder Juden im Exil

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Einleitung

Im Folgenden Artikel werden die Wörter „Ausreise“, „Flucht“ oder „Auswanderung“ benutzt, jedoch sollte man hierbei das Zitat des Dortmunder Historikers Rolf Fischer im Hinterkopf behalten: „Die Begriffe ‚Emigration‘ und ‚Auswanderung‘ treffen natürlich in keiner Weise das Wesen der Fluchten. Es handelte sich dabei um durch Verfolgung erzwungene Migration.“ ¹

Ab 1933 verließen etwa 300.000 Juden Deutschland. Sie flohen vor der zunehmenden Bedrohung vor Verfolgung, Gewalt und Terror durch die Nationalsozialisten. Dabei suchten sie auf der ganzen Welt nach einer sicheren Zuflucht. Anfangs führten die meisten Fluchtrouten nach Palästina und in die USA. Jedoch steigerte sich ab 1938 der Druck der Nationalsozialisten massiv und die Flucht wandelte sich in eine Massenflucht.²

Durch den Ausbruch des Krieges im September 1939 verschärfte sich die Situation weiter, weil eine Einwanderung in andere Länder kaum noch möglich war. Bis dahin nahm sogar Shanghai 20.000 Juden aus Europa auf. Ab Oktober 1941 verbot das NS-Regime jegliche Auswanderung. Damit war es den in Deutschland gebliebenen Juden fast unmöglich, sich vor der Vernichtung zu retten. Außerdem kamen in den Jahren 1938/39 10.000 jüdische Kinder mit den „Kindertransporten“, hauptsächlich nach Großbritannien, aber auch in andere Länder. Helga Jordan konnte sich beispielsweise für 450 Reichsmark eine Auswanderung nach Palästina finanzieren. In Berlin wurde 1933 die Jugend-Aliyah von Recha Freier gegründet, wodurch tausende Kinder gerettet werden konnten, dadurch, dass sie beispielsweise nach Palästina gebracht wurden. Weitere Informationen dazu liefert das jüdische Online-Magazin haGalil.

Die Zahlen über die Auswanderung sind lückenhaft, weil es keine systematischen Aufzeichnungen gab, da viele Menschen gezwungen waren, die Grenzen vorgeblich als Touristen oder komplett ohne gültige Papiere zu überqueren. Außerdem flohen viele jüdische Flüchtlinge durch mehrere Länder. Dies liegt auch darin begründet, dass die USA beispielsweise nur knapp 27.000 Deutschen eine Einreise erlaubten. Unter den Exilanten waren auch Albert Einstein, Theodor W. Adorno, der spätere US-Außenminister Henry Kissinger und Hannah Arendt.

Jüdische Flüchtlinge 1933 - 1937

Bereits ab dem 1.April 1933 organisierte die NSDAP einen Boykott jüdischer Unternehmen. Als Reaktion auf diese und weitere antisemitische Gesetze verließen viele jüdische Bürger Deutschland. Noch im selben Monat emigrierten viele nach Amsterdam.

Im September 1935 folgten die Nürnberger Gesetze, welche die jüdischen Bürger endgültig aus der „deutschen Volksgemeinschaft“ auschlossen. Zwar galten Juden offiziell als „Staatsangehörige“, besaßen aber keine politischen Rechte. Den Status eines „Reichsbürgers“ konnte fortan nur Personen erhalten, die „deutschen oder artverwandten Blutes“ waren. Zwischen 1933 und 1937 verließen rund 130.000 Juden das nationalsozialistische Deutschland; hauptsächlich nach Südafrika, Palästina oder Lateinamerika.

1938 und die Novemberpogrome

Die Ereignisse im Jahr 1938 führten zu einem Höhepunkt der Flüchtingszahlen; so annektierten die Nationalsozialisten Österreich und präsentierten dies der Welt als „Anschluss“. Dies führte dazu, dass jüdische Österreicher dieses Land verließen. Auch erfolgte die Eingliederung des zur damaligen Tschechoslowakei gehörenden Sudetengebiets.

Der nächste Emigrationshöhepunkt folgte nach den Novemberpogromen; in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 organisierte der NS-Staat gewalttätige Ausschreitungen gegen jüdische Bürger. Es starben mehr als 100 jüdische Bürger und 30.000 jüdische Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt. Auch wurden Tausende Synagogen, jüdische Geschäfte oder Friedhöfe zerstört. Die Ausreise war jedoch durch unüberwindbare bürokratische und finanzielle Hindernisse erschwert oder unmöglich.

Zwar wurde 1938 vom amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt eine Konferenz über das Flüchlingsproblem einberufen und man erörterte die humanitäre Not der Flüchtlinge, doch lockerten viele Länder ihre Einreisebestimmungen nicht. Die USA passten ihre Quote für deutsche Einwanderer leicht an, was jedoch zu keiner Verbesserung für die jüdischen Flüchtlinge führte.

Erschwerte Flucht ab 1938

Da immer mehr jüdische Bürger flüchteten, wurde es von Mal zu Mal schwieriger, ein sicheres Heimatland zu finden. Insgesamt gelang in den Jahren 1938 und 1939 noch 120.000 Juden die Flucht aus Deutschland.

Zunächst konnten jüdische Flüchtlinge, solange sie über finanzielle Mittel verfügten, in die Niederlande ausreisen. Doch ab 1938 drängte man geflüchtete Juden dazu, sich an ein speziell dafür gegründetes Komitee zu wenden, um möglichst viele Flüchtlinge in andere Länder weiterzuleiten. Viele Flüchtlinge versuchten in die USA zu gelangen, jedoch musste man dort vor „Abreise“ in Deutschland ein Visum bei einem amerikanischen Konsulat im eigenen Land beantragen.

Die amerikanische Politik war auf die wachsende Anzahl der Gesuche nicht vorbereitet und konnte nur in begrenzter Anzahl Menschen aufnehmen. Außerdem war es auch schwierig, den Konsul von seiner finanziellen, politischen und moralischen Zuverlässigkeit zu überzeugen.

Ein weitere Hürde wurde durch die Reichsfluchtsteuer geschaffen, denn nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fokussierte sich diese auf flüchtende Juden. Falls diese die vielen Hürden der Ausreise nicht überwinden konnte, erfolgt eine vollständige Enteignung der Personen. Die Reichsfluchtsteuer, welche ehemalig dazu gedacht war, um vermögende Deutsche von einer Ausreise abzuhalten, wurde so zu einem Mittel um die Flucht von Juden zu erschweren. Außerdem verlangten viele Staaten Affidavits (vergleichbar mit einer eidesstattlichen Versicherung); so konnten Familienangehörige, Freunde oder Organisationen im Ausland mit einer beglaubigten Bürgschaftserklärung Verfolgten die Einreise in Überseeländer ermöglichen. Auch Max Neugarten stellte ein Affidavitgesuch für sich und seine Familie, dessen Korrespondenz sich hier einsehen lässt.

Zudem war die Beschaffung der benötigten Dokumente sehr kompliziert, da die Grundvoraussetzung ein gültiger Pass war. Jedoch wurden ab dem 25. November 1941 allen im Ausland lebenden deutschen Juden die Staatsangehörigkeit entzogen. Da fiel auch ihr Vermögen an den NS-Staat. Zwar konnten Diplomaten die Staatenlosen mit Notpässen ausstatten, doch war dies ein langwieriger und komplizierter Prozess. Im Juni 1941 wurden alle diplomatischen Vertretungen der USA im durch die Nationalsozialisten besetzten Europa geschlossen. Es gab nur noch amerikanische Konsulate in Spanien oder Portugal. Dorthin zu gelangen, war unmöglich.

Ab Oktober 1941 wurde die Ausreise von Juden komplett untersagt. Zu dieser Zeit lebten etwa 163.000 Juden und Jüdinnen im Deutschen Reich. Zu dieser Zeit wurden bereits tausende Jüdinnen und Juden deportiert, wofür man das Codewort „Evakuierung“ benutzte. Mit dem Ausreiseverbot beginnt die systematische Deportation. Diejenigen, die aufgrund der bürokratischen Formalitäten oder wegen fehlender finanzieller Mittel nicht fliehen konnte, waren der mörderischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt.

Spuren von Dortmunder Jüdinnen und Juden

Juden und Jüdinnen in Dortmund
Jahr Anzahl der Juden ³
1900 1.924
1930 4.500
1933 4.108
1936 3.500
1938 2.600
1941 1.222
1944 344

"Von den etwa 4 500 Dortmundern und Dortmunderinnen jüdischer Herkunft dürften später 2 000 Personen in Konzentrationslagern ermordet worden sein. Am 27. Januar 1942 erfolgte die erste Deportation von über 1 000 Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg von Dortmund aus nach Riga. Die letzte Deportation erfolgte noch am 13. Februar 1945 nach Theresienstadt. Aber nicht nur Bürgerinnen und Bürger jüdischer Herkunft, sondern auch Angehörige anderer "rassischer" oder sozial diskriminierter Minderheiten wie die der Sinti und Roma wurden verfolgt und von Dortmund aus in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten deportiert."
Die Exilzeitung AUFBAU
„Aufbau“, Ausgabe 1 vom 1. Dezember 1934

AUFBAU war der Titel einer deutsch-jüdische Exilzeitung, welche von 1934 bis 2004 in New York erschien. Unter anderem finden sich im AUFBAU neben journalistischen Inhalten auch Suchanzeigen, sowohl zu Personen aus derselben Stadt oder direkt mit Namen. Außerdem druckte die Zeitschrift auch Todesanzeigen sowie Informationen zu jüdischen Menschen weltweit und Hilfsangebote ab. Auch gab es viele Kontaktanzeigen, so suchten beispielsweise viele, die sich bereits im Exil befanden, nach Verwandten und Freunden, die noch in ihren ehemaligen Herkunftsstädten lebten. So lassen sich im AUFBAU auch Suchanzeigen nach ehemaligen Dortmunder Juden mit neuer Adresse finden, deren Inhalte wir hier, da Namen genannt werden, nicht darstellen möchten. Ferner wurden auch Lebensmittel verkauft oder Spenden gesammelt. Insgesamt könnte man die Zeitung AUFBAU als Forum der Exilanten bezeichnen. Alle zwischen 1934 bis 1950 erschienen Ausgaben können aufgrund ihrer geschichtlichen Relevanz online eingesehen werden.

Erinnerungen an die Familie Neugarten aus der Zeitung AUFBAU :

FamilieNeugarten S.121.jpg
Aufbau vom 04.01.46, S. 10


Weiterführende Links


Einzelnachweise

[1] Rolf Fischer, Verfolgung und Vernichtung – Die Dortmunder Opfer der Shoa, Essen 2015, S. 70.
[2] Kim Wünschmann, Gerette Geschichten – Exilländer jüdischer Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich, Bundeszentrale für politische Bildung vom 16.09.14 (https://www.bpb.de/themen/holocaust/gerettete-geschichten/177609/exillaender-juedischer-fluechtlinge-aus-dem-deutschen-reich/; Abrufdatum 17.08.22)
[3] Ulrich Knipping, Die Geschichte der Juden in Dortmund während der Zeit des Dritten Reiches, S. 155 f.
[4] Dortmund unterm Hakenkreuz, Stadt Dortmund (https://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/ausunsererstadt/stadtportraet/stadtgeschichte/20jahrhundert/unterm_hakenkreuz/unterm_hakenkreuz.html; Abrufdatum 16.01.2023
[5] Ausgabe 1.12, Seite 120, 04.01.46, Aufbau, Internet Achive (https://archive.org/details/aufbau; Abrufdatum 24.08.22) und Ausgabe 1.12, Seite 10, 04.01.46, Aufbau, Internet Achive (https://archive.org/details/aufbau; Abrufdatum 24.08.22)


Quellen

  • Rolf Fischer, Verfolgung und Vernichtung – Die Dortmunder Opfer der Shoa, Essen 2015.